Eugenie Geist - eine besondere Kollegin für ganz spezielle Fälle


Überall wo man hinschaut hängen laminierte Zettel an den Wänden und Türen.


‚Wer den letzten Kaffee nimmt, setzt bitte neuen auf!'
‚Wenn abzusehen ist, dass das Toilettenpapier zur Neige geht, holt bitte neues aus dem Lager!'
‚Nur ein sauberer Kühlschrank ist ein guter Kühlschrank!'



Und so weiter, und so weiter…


Diese Schilderflut entstand vor ungefähr zwei Jahren in unserem Büro und was hat's gebracht? NICHTS!


Letztens war wieder so ein Tag, an dem alles genervt hat. Jedes Mal wenn ich mir einen Kaffee holen wollte, bekam ich nur noch den letzten Rest ab. Ähnlich erging es an diesem Tag auch Anja.
„Boa", dröhnte ihre Stimme aus der kleinen Küche des Büros, „wer hat sich den letzten Kaffee eingeschüttet?" Mit der fast leeren Kaffeekanne in der Hand stürzte sie in das Großraumbüro. Anja wartete auf eine Reaktion ihrer Kolleginnen und wippte dabei ungeduldig mit dem linken Fuß auf und ab - doch wie immer war es vergebens. Natürlich war es keiner. Es ist doch immer das Gleiche - nie war es auch nur irgendjemand. Nie hat jemand die letzte Rolle Klopapier aufgehängt; niemals hat auch nur irgendwer das letzte Päckchen Kopierpapier in den Drucker eingelegt ohne neues zu holen.
„Das ist ja mal wieder klar", Anja drehte sich um und setzte, leicht angesäuert, neuen Kaffee auf.


Es war Mittagszeit und ich bekam langsam Hunger - Zeit ein Brötchen zu schmieren.  Ich öffnete den Kühlschrank, griff nach der Halbfettmargarine und suchte in dem Chaos nach der selbstgemachten Brombeermarmelade. Dabei fiel mir ein Päckchen Mortadella in die Hände, dessen Inhalt in seltenen Farben schillerte und mit weißem Pelz bedeckt war. Igitt - schüttelte ich mich und rannte sofort mit diesem „Ekelpaket" von Schreibtisch zu Schreibtisch, um herauszufinden, wer von den Damen Eigentümerin dieser Aufzucht war. Eigentlich hätte ich es mir ja denken können - Niemand!
„Vielleicht gehört es ja Simone!", rief Johanna aus der hintersten Ecke des Büros. „Na klar", erwiderte ich lautstark, „immer sind's die Anderen und mit Vorliebe diejenigen, die sich nicht verteidigen können, weil sie nicht da sind!"


Anja und ich durchforsteten gemeinsam die Tiefen des Kühlschrankes, was allem Anschein nach schon lange überfällig war. Es gab zu Hauf abgelaufene Waren, die wir entsorgen konnten. Nun war der Inhalt des Kühlschrankes recht übersichtlich und die Brombeermarmelade stand direkt vor meiner Nase. Doch ich packte mein trockenes Brötchen zurück in die Bäckertüte - mir war der Appetit vergangen.


Zurück an meinem Schreibtisch stürzte ich mich gleich wieder in die Arbeit. Mein Telefon klingelte. Herr Meierhofer, Sachbearbeiter der Buchhaltung einer Krankenkasse, war am anderen Ende und wollte von mir wissen, ob wir vor vier Monaten eine Überweisung erhalten hätten, die wir nicht zuordnen konnten. Es würde sich hierbei wohl um eine fehlgeleitete Zahlung handeln. Nachdem er mir die Daten durchgegeben hatte öffnete ich ein entsprechendes Programm und schaute nach. Ich wurde sofort fündig:
16,85 Euro - Zahlungseingang am 14.2. - keine Zuordnung möglich - Überweisung ohne Rechnungsnummer - dieser Eintrag stammte von Sabrina.


„Herr Meierhofer", begann ich sehr selbstsicher zu schwindeln, „könnte ich sie gleich zurückrufen? Ich kann den Betrag leider nicht auf Anhieb finden."
Der freundliche Herr gab mir seine Durchwahl und verabschiedete sich.
„Hey Sabrina, komm doch mal eben", bat ich die junge Kollegin zu mir und zeigte ihr den Eintrag, „Hast du hier schon was in die Wege geleitet? Zum Beispiel bei der Kasse mal angerufen, für welche Rechnung die Zahlung ist?"
Sabrina schaute mich an. „Ich denke nicht. Wenn da nichts anderes steht, dann hab ich das Geld einfach ohne Rechnungsnummer auf die Kasse gebucht. Wir sollen doch für die kleinen Beträge nicht mehr so einen Aufwand betreiben." Die junge Frau zog eine leichte Schippe.
„Ist ja schon gut, ich wollt's doch nur wissen."
Also wählte ich die Nummer von Herrn Meierhofer und teilte ihm mit, dass das Geld hier angekommen war, aber versehentlich einer falschen Rechnungsnummer zugeordnet worden sei.
„Nach vier Monaten fällt ihnen so etwas nicht auf? Das kann doch nicht sein! Was haben sie denn für eine Buchhaltung?", und Herr Meierhofer begann mir die Grundlagen der Buchhaltung zu erklären.
„Ich verstehe sie ja, aber die Dame die das bearbeitet hat arbeitet schon seit drei Monaten nicht mehr hier", versuchte ich den mittlerweile aufgebrachten Sachbearbeiter zu beruhigen. Meine Kollegin, die direkt neben mir ihren Arbeitsplatz hat, schaute schon leicht belustigt zu mir rüber.
„Selbstverständlich überweisen wir ihnen den Betrag umgehend zurück. Wenn sie mir vielleicht eine kurze Rückforderung per Fax zukommen lassen könnten…, das wäre sehr nett."
Das hätte ich besser nicht gesagt. Eine lautstarke Beschwerde über unsere Geschäftsgebaren ließen meinen ohnehin vorhandenen Tinnitus noch lauter werden. Kurz darauf beendete Herr Meierhofer dieses Gespräch und ich schnaufte einmal kurz durch. Mir war ganz heiß und mein Kopf leuchtete als wäre ich eine Stunde durch den Park gerannt.
Eva, meine Kollegin zur Rechten, schaute mich mitfühlend an. „Welche Mitarbeiterin hat uns denn vor drei Monaten verlassen?", wollte sie wissen und grinste schelmisch. Ohne lange zu überlegen erschuf ich eine neue Kollegin - Eugenie Geist. Seitdem ist diese imaginäre Dame für so vieles bei uns zuständig.
Wenn jetzt jemand fragt, wer den letzten Zucker genommen hat, ruft irgendwer: „Das war bestimmt Eugenie!"
„Wem gehört die abgelaufene Milch im Kühlschrank?"
„Na wem schon…, Eugenie!"
Und wer hat dies oder wer hat das---?  Natürlich Eugenie - wer denn sonst!


Eugenie Geist ist halt unsere ganz besondere Kollegin für ganz spezielle Fälle!


Mal schauen, ob Eugenie auch genannt wird, wenn der Chef das nächste Mal fragt, wer denn eine Gehaltserhöhung verdient hätte?!