Der Freund


Katharina eilt mit schnellen, festen Schritten alleine im Dunkeln durch den Park. „Was bildet sich dieser Affe eigentlich ein?", kreisen ihre Gedanken um Paul und ihr Blut fängt vor Wut sofort wieder an zu kochen. Tränen steigen in ihr hoch. Paul ist für die junge Frau in diesem Moment das roteste Tuch, was es auf Erden gibt. Wie konnte er sie nur so demütigen, bzw. sie dazu bringen, dass sie sich mehr oder weniger selbst gedemütigt hat. Am liebsten würde sie ihm auf der Stelle die Augen auskratzen, ihn in den Allerwertesten treten, ihn köpfen, vierteilen und auf den Mond schießen.


***


Sie kennen sich seit gut fünf Jahren. Paul war damals nach Dinslaken gezogen und irgendwie in Katharinas Freundeskreis geraten. Er spielte immer gern den Pausenclown und hatte wohl auch gerne Abwechslung, was Damen anbelangte. Doch seit gut einem Jahr ist bei ihm absolute Sendepause, was Beziehungen angeht. Er ist still geworden, hält sich mit unqualifizierten Äußerungen zurück und vor allem hat er aufgehört jeden und alles auf die Schippe zu nehmen.
Die Veränderung ist natürlich keinem der Freunde verborgen geblieben und wenn man ihn darauf anspricht, meint er nur, dass er erwachsen geworden wäre. Katharina weiß, dass es nicht so ist. Sie hatte keine Ruhe gegeben und so lange nachgebohrt, bis Paul ihr endlich sein Herz ausgeschüttet hat.


Er sei unglücklich in eine Frau verliebt und seit längerer Zeit versucht er wohl vergebens auf sich Aufmerksam zu machen. Sie ist weder auf seinen Witz noch auf seinen ungeheuren Charme angesprungen. Dabei weiß er doch genau, dass das Mädel ihn mag. Auch die Versuche sie eifersüchtig zu machen hätten nichts gebracht. Auf Katis Frage hin, ob diese Frau denn überhaupt wüsste, dass er in sie verliebt sei bekam sie folgende Antwort:
„Ich denke schon, dass sie weiß, dass ich etwas für sie empfinde. Ich weiß auch, dass sie auf mich abfährt, denn wenn ich an ihr vorbei gehe, sehe ich, wie sie ihre Augen schließt und meinen Geruch in sich aufnimmt, wie ihre Zunge dabei sanft über ihre Lippen gleitet. Wenn sie laut lacht, suchen ihre Augen nach mir und wenn sie Blickkontakt zu mir hat, wird aus dem lauten Lachen ein schüchternes Lächeln."
Mit einem tiefen Seufzer endete er schließlich und die Freundin strich ihm sanft über den Rücken und meinte nur, dass diese Frau vermutlich nur mit ihm spielen will und absolut gefühlskalt sei. Er solle sich auf alle Fälle vor diesem Individuum in Acht nehmen, bevor sie ihm noch das Herz brechen und er den Blick fürs Wesentliche verlieren würde. Dieses Frauenzimmer hätte ihn doch gar nicht verdient. Ein kleines, süffisant wirkendes Lächeln umspielte Pauls Mundwinkel. Sie hat echt keinen Schimmer, von wem er da gerade gesprochen hat.
Dieses Gespräch fand vor zwei Tagen statt.


***


Noch vor eineinhalb Stunden hat Kati zusammen mit Susanne Ausschau nach der Frau gehalten, die dem Kumpel dermaßen zusetzt. „Der arme Paul ist nicht mehr der Alte, seit er sich in dieses Miststück verguckt hat", erzählt Katharina ihrer Freundin und informiert sie über die Einzelheiten. Sie erzählt, wie sich diese Frau gibt und wie sie Paul anschmachtet. „Hat Paul denn gesagt, wie sie aussieht oder wie sie heißt?", will Susanne wissen. „Nee, ich hab auch nicht gefragt - er sah so traurig aus."
Während die Frauen sich unterhalten und die Räumlichkeiten mit den Augen absuchen, kommt Paul zur Türe herein. Ein großes Hallo geht durch die Kneipe und als Paul sich an Katharina vorbeidrückt, schließt sie die Augen und saugt den angenehmen Duft seines Aftershaves in sich auf. Als sie die Augen wieder öffnet, sieht sie Pauls lachendes Gesicht. Zunächst lächelt Katharina noch zurück, doch als Susanne ihr einen leichten Stoß versetzt und sie fragt ob es sein kann, dass Paul sie gemeint haben könnte, fällt ihr alles aus dem Gesicht - Miststück, gefühlskalt, Individuum, hat dich nicht verdient…
Paul kann an Katharinas Gesicht erkennen, wie der Groschen langsam aber sicher fällt. Seine Augen strahlen und zur Bestätigung nickt er ihr zu. 'Ja, ich habe dich gemeint', sagt ihr dieses Gesicht, aber statt sich geschmeichelt zu fühlen oder sich zu freuen, fühlt sie sich von Paul auf den Arm genommen und es kommt ihr vor, als würden sich alle um sie herum lustig über sie machen.
Katharina spürt, wie ihr der Hals anschwillt und Blut in ihr Gesicht gepumpt wird. Sie fühlt sich, als müsse sie jeden Augenblick explodieren. „Na, macht's Spaß sich auf Kosten anderer zu amüsieren?", giftet sie ihn an, „Du bist so ein arroganter, überheblicher Kerl - ICH HASSE DICH!"
Katharina greift nach ihrer Handtasche und flüchtet aus dem Lokal. Nie wieder wird sie ihren Freunden unter die Augen treten können, alle werden sie nur noch auslachen.


Im Park ist es wirklich dunkel. Der Mond hat sich hinter Wolken versteckt, als ihr plötzlich ein hochgewachsener, dunkel gekleideter Mann entgegen kommt. Automatisch werden Katharinas Schritte langsamer. Wenn sie jetzt auch noch Opfer eines Gewaltverbrechens wird, wäre der Abend perfekt, schießt es ihr in den Kopf. Sie spürt, wie Adrenalin durch ihre Adern gepumpt wird und nimmt innerlich bereits eine Abwehrstellung ein. Kampflos würde sie nicht sterben, soviel ist sicher.
„Na Süße, keine Angst so alleine", spricht der Fremde sie an. Katis Augen blicken an dem Mann vorbei ins Dunkle. Keine Menschenseele ist zu sehen. Katharina reagiert nicht darauf und geht einen Schritt zur Seite, doch der Mann stellt sich ihr in den Weg und streckt eine Hand nach ihr aus. „Ich hab dich was gefragt. Bist wohl zu fein um mit einem wie mir zu sprechen, was!"
Gerade als er nach ihr greift ertönt hinter Katharina eine Stimme: „Ey Mann, ich wäre vorsichtig mit der Braut. Sie ist eiskalt und gefährlich."
Erschrocken zieht der Typ seine Hand zurück und sucht eilig das Weite.
Kati schließt für einen Moment die Augen. Die Stimme kennt sie genau. Es ist Pauls Stimme und er ist ihr wohl nach gelaufen. Als die Anspannung von ihr abfällt, dreht sie sich um und blitzt Paul gefährlich an. „Das ist alles deine Schuld", schreit sie ihm entgegen, „wenn du nicht so ein elendiger Kerl wärst, wäre ich gar nicht erst hier entlang gelaufen und nie in eine solche Situation gekommen!" Tränen der Erleichterung und der Wut laufen ihr über die Wangen. Völlig unbeeindruckt zieht Paul Katharina in seine Arme. „Ich weiß", gibt er leise zu, legt seinen Zeigefinger unter ihrem Kinn und hebt es an, so dass sie ihm direkt in die Augen schauen muss. Katharinas Wut verfliegt sofort und sie verliert sich in seinem sanften Blick. Ihre Gesichter bewegen sich langsam aufeinander zu und es kommt, wie es kommen muss.


Ende